50 / 50 am Brienzergrat

Es war eines dieser Wochenende, an denen man wohl zu Hause geblieben wäre, hätte man sich lediglich auf den Wetterbericht verlassen. Oft spekuliere ich aus fotografischer Sicht aber genau auf solche unsichere Prognosen. Ich sage dann immer, es ist 50/50: entweder fällt wortwörtlich alles ins Wasser und ich komme ohne Foto nach Hause oder aber es gibt so geniale Stimmungen, dass sich die Speicherkarten wie von alleine füllen. Welche Option dieses Mal zu traf, seht ihr an den folgenden Bildern…

Empfangen werden wir auf dem Grat zunächst aber von Hagel, Sturmböen, Regen – das volle Programm. “Abwarten und Tee trinken” ist da die Devise. Kaffe geht natürlich auch und immer wieder wird der Regenradar konsultiert. So langsam zeichnet sich eine kurze Wetterberuhigung ab, wir ergreifen die Chance und stapfen los. Die schmalen Gratwege sind schlammig und rutschig – zur reinen “Wanderslust” sollte man Tage wie diese wirklich eher meiden.

Wir kommen auf dem ersten Gipfel an und bestaunen die Nebelfetzen, die sich am weiteren Gratverlauf festgesetzt haben. Ab und zu geben Lücken in der Wolkendecke den Blick auf den türkis schimmernden Brienzersee frei. Die Tiefblicke hier oben sind einfach fantastisch. Doch auch im näheren Blickfeld tut sich was: am Gegenhang entdecken wir mehrere Steinböcke, die in den Felsflanken Schutz vor dem rauen Wetter gesucht haben. Einige dösen noch vor sich hin, andere sind sich am recken & strecken und manche klettern schon auf die frisch gegossenen Bergwiesen hoch. Essen muss schliesslich auch bei Regenwetter sein…

Vor der nächsten Regenfront beschliessen wir, uns auch etwas zu Essen zu gönnen und es dann kurz vor Sonnenuntergang nochmals zu probieren. Gesagt, getan steuern wir den selben Gipfel an und es scheint sich eine gigantische Abendstimmung anzukünden! Nebel hängt in der Luft, die Sonne kurz davor, durchzudringen und vielleicht sind die Steinböcke immer noch dort. Schon fast euphorisch komme ich oben an, positioniere mein Stativ und warte. Und warte. Und warte. Doch es tut sich nichts. Keine Steinböcke. Keine Lücke in der Wolken-/Nebeldecke. Im Gegenteil: es wird immer dunkler und wir beschliessen, uns sicherheitshalbers zurück zu ziehen. So ist das halt bei einer 50/50 Chance, man kann nicht immer gewinnen…

Am nächsten Morgen: anderer Gipfel, gleiches Spiel. Jedenfalls vorerst. Der Nebel will sich nicht so recht lösen. Ich harre alleine aus, gebe die Hoffnung noch nicht auf. Und dieses Mal werde ich belohnt! Zuerst schleicht eine Gämse in aller Stille vor mir durch den Nebel. Ich erkenne sie nur schemenhaft, aber was für ein magischer Moment! Und es wird noch besser: die aufgehende Sonne drückt von hinten in den Nebel, er beginnt so richtig zu glühen und löst sich rund herum immer mehr auf. Vor lauter Entzücken vergesse ich fast das fotografieren. Es sind genau solche Momente, die mich immer wieder zu früher Stunde in die Berge ziehen – und dies eben auch, wenn die Chance “nur” 50/50 stehen. Manchmal gewinnt man!

Zum krönenden Abschluss gibts dann nochmals eine Audienz beim König der Alpen. Ich vermute, es ist die gleiche Gruppe Steinböcke, die wir Tags zuvor am anderen Gipfel bereits beobachtet haben. Sie scheinen die Morgenstunden auch lieber hier drüben zu verbringen, folgen wohl wie die Fotografen auch dem Licht… Wobei: irgendwer hat dieses unterdessen wieder ausgeknipst. Der Nebel ist zurück. Mir solls egal sein, ich hatte meine Lichtshow für heute und nehme gerne auch noch ein paar Steinböcke in Nebelstimmung als Zugabe mit.

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