Kalt und dunkel. So stellt man sich Finnland im Winter vor. Während die meisten Menschen zu dieser Jahreszeit wohl am Liebsten auf die Malediven oder in die Karibik fliegen würden, habe ich mir 150 Kilometer nördlich des Polarkreises einen lange gehegten Traum erfüllt.
Bereits auf der Fahrt vom Flughafen Kittilä zur Äkäskero Wilderness Lodge, unserem Zuhause für die nächsten zwei Nächte, werden wir von einem landestypischen Empfangskomitee begrüsst: zwei Rentiere liegen seelenruhig neben der Strasse und lassen sich auch vom vorbeibrausenden Minivan nicht stören. Hier geht eben alles etwas entspannter und beschaulicher zu und her – sogar (oder besonders?) in der Adventszeit.
Es herrscht Kaamos – die Zeit, in der die Sonne nicht mehr über dem Horziont erscheint. Daraus zu folgern, dass es stets stockdunkel ist, wäre jedoch falsch. Zwar sind die Tage kurz, aber für rund fünf Stunden kann man die Stirnlampe getrost ausschalten und die Landschaft geniessen. Mit etwas Wetterglück in den schönsten Rot- und Blautönen.
Heute jedoch ist es eher bedeckt und das finnische Winterwunderland präsentiert sich uns grau in grau. Dafür ist es mit -10 Grad verhältnismässig mild. Die Leihausrüstung (Daunenjacke und -hose, Winterboots, Fellmütze und Überhandschuhe – alles gut eine Nummer zu gross; absichtlich!), welche wir gestern ausgehändigt bekommen haben, lässt jedoch vermuten, dass sich dies noch ändern wird.
Im Dogcamp angekommen, lernen wir zuerst unseren Guide für die nächsten vier Tage kennen und wenig später – nach einer Schnellbleiche “Wie lenke ich einen Hundeschlitten? Wie bremse ich? Wozu ist der Anker gut?” – die Hunde. Schwierig zu sagen, auf welcher Seite die Freude grösser ist, denn die Hunde spüren sehr wohl, dass es nun gleich mit der ersten Übungstour losgeht und werden mit jeder Minute ungeduldiger. Ich bekomme den lautstarken Elton und die unscheinbare Kraftmaschine Karhu direkt vor den Schlitten gespannt. Vor den beiden laufen die intelligente Kira (sie kann Zwingertüren selbst öffnen…) und Jihad, welchen ich sofort besonders ins Herz geschlossen habe, als Leithunde. Ein zugkräftiges Gespann – ich stehe während der Tour mehr auf der Bremse als sonst was, damit meine kleinen Wadenbeisser nicht auf den Vordermann auflaufen. Die dreistündige Übungsfahrt geht im Nu vorbei und macht sehr viel Lust auf mehr!
Die nächsten vier Tage verbringen wir im Ylläs-Akennus – Nationalpark. Übernachten werden wir in kleinen, rustikalen Wildnishütten, fernab von jeglicher Zivilisation. Wegen des vielen Neuschnees wurden die Teams um einen fünften Hund verstärkt und so läuft bei mir nun die zappelige Ivory in der Mitte. Nun ja, die meiste Zeit läuft sie – manchmal legt sie sich auch einfach in den Tiefschnee oder wechselt frisch-fröhlich die Seite, so dass ich etwa im Habstundentakt anhalten muss, um die Leinen zu entwirren und die Hundedame wieder an ihren Platz zurück zu setzten…
Die folgenden Tage gleichen sich vom Ablauf her: nach dem Aufwachen wird der Holzofen eingeheizt und das Frühstück zubereitet. Anschliessend wird die Hütte geputzt und für die nächsten Gäste hergerichtet. Weiter gehts zu den Hunden, welche wenige Meter daneben an der Nachtkette geschlafen haben (und dabei zumeist einige Zentimeter tief in den Schnee runtergeschmolzen sind). Nachdem auch ihr Schlafplatz sauber gemacht wurde – die Hinterlassenschaften sind praktischerweise tiefgefroren und lassen sich bequem mit dem Spaten aufheben und entsorgen – gehts ans Angeschirren. Dabei helfen einem die Hunde sehr und schlüpfen fast schon von alleine ins Geschirr. Abgesehen von meinem Zappelphillip natürlich, aber irgendwann ist auch Ivory eingeschirrt und das Team wird vor den Schlitten gespannt. Während bis hierhin alles mehr oder weniger ruhig von statten geht, beginnt nun das Bellen, Jaulen, Heulen, Zerren und Beissen an den Ketten oder dem Nachbarn – Chaos pur! Kaum ist der Startschuss jedoch gefallen, hört man nur noch das Atmen der Hunde und das Knistern der Kufen – der absolute Wahnsinn!
So zieht die wunderschöne Landschaft an mir vorbei, ich muss nichts machen ausser geniessen und ab und zu bremsen oder wenns bergauf geht, den Hunden etwas helfen. Pausen werden auf ein Minimum reduziert, da sie für Mensch und Tier zu stressig sind – kaum hält man an, geht das Gebelle und Gezerre wieder los. Manchmal lässt es sich aber nicht vermeiden, zum Beispiel wenn eine Strasse gequert werden muss oder meine defekte Bremsmatte behelfsmässig repariert wird. Die Tagesetappen dauern zwischen vier und sechs Stunden, in denen die Vierbeiner bis zu 45 km zurücklegen – unglaubliche Ausdauermaschinen! Es handelt sich im übrigen um Alaska Huskies, eine eigentlich nicht reinrassige Art, in die sowohl klassische Schlittenhunde (Malamuts, Sibiran Husky) wie auch Jagdhunde, Windhunde oder gar Wölfe reingezüchtet wurde.
Zumeist erreichen wir die Hütten bei Tageslicht, nur einmal fahren wir im Schein unserer Stirnlampen, was sehr eindrücklich und schön ist. Bevor wir uns in der warmen Stube mit Suppe und Tee auftauen können, werden die Hunde versorgt: ausspannen, Geschirr ausziehen (“Ivory, halt still, gopf!”), an die Nachtkette binden (“nein, Ivory, hiergeblieben!”), füttern und reichlich streicheln und knuddeln. Anschliessend bleibt genügend Zeit, eine finnische Sauna zu geniessen (inklusive abkühlen mit Schnee, brrrr), bevor wir gemeinsam das Abendessen kochen und meist kurz dannach ins Bett hüpfen. Obschon sich die körperlichen Anstrengungen in Grenzen halten, bin ich am Abend jeweils hundemüde. Obs an den vielen schönen Eindrücken, dem frühen Eindunkeln oder der Kälte liegt, weiss ich nicht. Jedenfalls hatten wir die beiden letzten Tage um die -35 Grad, was schon grenzwertig ist. Entschädigt wird dies aber durch schönste Pastellfarben den Tag über. Fehlt eigentlich nur noch das Nordlicht – die Bedingungen (kalt & klar) wären eigentlich ideal – aber leider bleibt uns dies bisher vorenthalten.
Gemäss unserem Guide gab es auf dieser Wildnistour auch schon Leute, die Angst vor Hunden hatten oder nicht damit klar gekommen sind, dass es bei den Hütten nur ein Plumpsklo gibt. Jene sind hier wohl am falschen Ort. Allen anderen kann ich dieses Erlebnis nur weiterempfehlen – für mich jedenfalls hat sich ein grosser Traum erfüllt und ich möchte mich an der Stelle bei allen Beteiligten für die schöne Zeit bedanken: Katja, unser Guide, Sven, der immer begeistert meine ungewöhnlichen Ferienideen teilt, Jens & Aljona, unsere beiden Mitreisenden auf der Tour und natürlich Jihad, Kira, Karhu, Elton und besonders Ivory, die mir so manches Lachen aufs Gesicht zauberte.
Toller Beitrag! Als eher südländischer Typ wäre ich wohl auf halber Strecke erfrohren :-). Aber ich betrachte gerne (an der Wärme) die schönen Bilder!
Guter Rutsch ins 2013!
jkb
Cool…wecken bei mir Erinnerungen von März 2012!
Habe auch 1 Woche in Aekäskero verbracht. War herrlich…..
Mein Trost…mein Partner hat auch nordische Hunde, Hounds.
Welch ein Zufall 🙂
Und heute ist es so weit. Schweizermeisterschaft an der Lenk, 2015.
Wir sind dabei!